Vom Nischen­produkt zur Weltsprache

Normalerweise feiern Programmiersprachen keinen Geburts­tag und schon gar nicht einen zehnjährigen, da die meisten Sprachen allein zehn Jahre alt werden müssen, um überhaupt außerhalb ihrer „Fangemeinde“ wahrgenommen und vor allem akzeptiert zu werden. Die nach wie vor wichtigen Pro­grammiersprachen COBOL und FORTRAN stammen aus den 50er-Jahren, C wurde in den 70er-Jahren „erfunden“ und auch C++, das von vielen nach wie vor als die „wichtigste“ Programmiersprache schlechthin angesehen wird, ist bereits knapp 20 Jahre alt. Lediglich Java, und in einem geringeren Umfang die Internet-Skriptsprache PerI, haben innerhalb we­niger Jahre den Durchbruch geschafft.

Dennoch soll es hier um einen kurzen Rückblick auf die in­zwischen zehnjährige Geschichte von Visual Basic gehen, verbunden mit einem kurzen Ausblick in die Zukunft. Auch wenn Visual Basic nicht die wichtigste Programmiersprache der Welt ist, ist sie doch vermutlich die am meisten einge­setzte Programmiersprache weltweit. Und das ist etwas, das sich anfangs nur unverbesserliche Optimisten vorstellen konnten. Ein wenig ist dieser Rückblick auch eine Rückblen­de in die immer noch relativ junge lT - Branche, denn als Vis­ual Basic 1.0 im Jahre 1991 auf den Markt kam, hatte Win­dows mit Version 3.0 gerade den Durchbruch geschafft und vom Internet war noch keine Rede.

Von der API zum Webservice: .NET

Heute ist Windows bei Microsoft ein „Auslaufmodell“, unter dem Namen .NET wird bereits fleißig an einem Nachfolger gearbeitet, bei dem Webservices API - Funktionen ersetzen, die Benutzeroberfläche austauschbar ist und Geschäftspro­zesse und andere Dienstleistungen einfach über das Internet integriert werden.

Damals wie heute wird Visual Basic die Programmiersprache sein, mit der Millionen Programmierer in der ganzen Welt in die Lage versetzt werden, die neue und (wie damals im Jahre 1990) in vielen Bereichen sehr ungewohnte Plattform in kur­zer Zeit zu meistern.

Mai 1991

Wie alles anfing - Visual Basic 1.0

Wie immer fing alles mit einem Gerücht an. Dieses geisterte während der CeBit 1990 durch die damals noch sehr junge Windows-Szene und besagte, dass Microsoft demnächst ein „Windows - Basic" mit ganz neuen Möglichkeiten auf den Markt bringen werde. Brisant war dieses Gerücht allein schon deswegen, weil Windows 3.0 im Begriff war, zu einem phänomenalen Erfolg zu werden, und angehende Windows-Programmierer mit der Programmiersprache C, einem Satz von Header - Dateien und einer relativ dünnen Dokumentation (dem „Windows 3.0 Programming Guide“) vorlieb nehmen mussten. Für die vielen Basic-Programmierer, die bis dahin mit den DOS-Varianten Quick Basic und Basic PDS arbeite­ten, war Windows eine uneinnehmbare Festung.

Als Microsoft unter dem Codenamen „Thunder“ die ersten Vorabversionen an Journalisten, Buchautoren und vor allem an jene Programmierer verteilte, die unter DOS bereits richtig große Anwendungen programmiert hatten, fühlten sich die meisten in eine neu Ara versetzt. Vorbei waren die Zeiten, in denen eine 640-KB-Barriere eine Rolle spielte, Multitasking ein Fremdwort war, Grafikkarte und Drucker direkt ange­sprochen wurden und Fenster, Menüs und Dialogfelder recht umständlich über externe Toolboxen oder eine detailliert ge­plante Vorgabe programmiert werden mussten. Einfach auf einem Formular ein paar Steuerelemente anordnen, ein paar Basic-Befehle einfügen und fertig war die Windows-Anwen­dung.

Natürlich stellte sich schnell heraus, dass Anwender, Kunden und auch die Programmierer weitergehende Ansprüche hatten und vor allem die Anbindung an eine Datenbank zu den Mindestvoraussetzungen zählte.

Doch dies hatte man bei Microsoft in (eher selten) weiser Voraussicht bereits berücksichtigt. Das Erfolgsgeheimnis von Visual Basic war nicht so sehr die Fähigkeit, Windows-Pro­gramme mehr oder weniger auf Mausklick produzieren zu können, sondern in erster Linie seine Erweiterbarkeit. Über kleine Bausteine, damals hießen sie noch Custom Controls oder VBXe, ließ sich bereits Visual Basic 1.0 praktisch gren­zenlos erweitern. Es dauerte daher nicht lange, bis findige und auch geschäftstüchtige Programmierer (durch Visual Ba­sic entstand ganz nebenbei ein Zubehörmarkt, in dem in den letzten Jahren mit Sicherheit mehrere Hundert Millionen Eu­ro umgesetzt wurden) die Lücken mit Eigenentwicklungen füllten, die teilweise in Form von Toolboxen verkauft, teil­weise aber auch kostenlos angeboten wurden.

Alan Cooper: Der wahre Vater von VB

Auch die Vorgeschichte von Visual Basic ist höchst interes­sant und typisch für die Softwarebranche der damaligen Zeit, wo so manche Erfolgsgeschichte von Zufallsfaktoren abhing. Die Idee zu Visual Basic entstand nämlich nicht bei Micro­soft oder in der Garage von Bill Gates. Als „Vater“ von Visu­al Basic gilt ein gewisser Alan Cooper, der sich danach unter anderem durch pointierte Bücher zum Thema Software- und Oberflächendesign einen Namen gemacht hat (und der op­tisch ein wenig an den Rockmusiker David Crosby erinnert). Cooper erdachte ein kleines Programm, mit dessen Hilfe sich Windows-Dialoge am Bildschirm zusammenstellen ließen. Diese Funktion bietet heutzutage beinahe jedes Textpro­gramm, für die damalige Zeit war dies aber sensationell.

Cooper nannte sein kleines Juwel „Ruby“ und zeigte es Microsoft-Chef Bill Gates. Dieser war offenbar sofort über­zeugt, erkannte (wie so oft) das Potenzial dieser vom Umfang her eher kleinen Software und kaufte Mr. Cooper die Rechte ab. Gates gab seinen Programmierern den Auftrag, daraus ein neues Programmiersystem für Windows zu machen. Ur­sprünglich sollte C die Programmiersprache sein, später ent­schied man sich, dafür statt dessen Basic einzubauen.

Eine Entscheidung, die heute vermutlich niemand mehr be­reuen dürfte (wie es um das Verhältnis zwischen Alan Cooper und seinem „Enkelkind“ steht, darüber kann man nur spekulieren, denn in der Presseerklärung von Microsoft zum zehn­jährigen Geburtstag wird der Vater von Visual Basic mit kei­nem Wort erwähnt - Fairerweise muss aber angemerkt werden, dass dieser nur die Idee und ein Design lieferte, die eigentliche Arbeit aber von den Programmierern bei Micro­soft geleistet wurde).

November 1992

War da nicht etwas? Visual Basic 2.0

Beim Nachfolger von Visual Basic 1.0 war vor allem bemer­kenswert, wie schnell er wieder verschwand. Es dauerte kein halbes Jahr, bis schon die nächste Version, Visual Basic 3.0, auf den Markt kam. Dennoch war Version 2.0 ein wichtiges Update, denn es wurden (nach Angabe von Microsoft) über 150 Erweiterungen an der Programmiersprache vorgenom­men. Vor allem wurde die Toolbox kräftig aufgefüllt die meisten Custom Controls, die bei Visual Basic 1.0 noch im Rahmen des Professional Toolkits separat erworben werden mussten, waren nun von Anfang an im Paket dabei.

Mai 1993

Das beste Visual Basic bis dahin — Visual Basic 3.0

Version 3.0 wird von vielen Programmierern als der eigentli­che Durchbruch und von manchen als die nach wie vor wich­tigste Version angesehen. Wäre es von Anfang an eine 32-Bit-Version gewesen, es würde heute noch eine Rolle spielen. Die wichtigsten Neuerungen lagen weniger in der Program­miersprache als vielmehr in der Datenbankschnittstelle DAO und der Jet-Engine als Datenbanksystem, durch die Visual Basic zu einem ernst zu nehmenden Datenbankentwicklungs­system wurde. Visual Basic 3.0 war mit etwas über drei Jah­ren so lange auf dem Markt wie keine Version zuvor, was da­zu führte, dass sich die Programmierer ausführlich mit dem Werkzeug beschäftigen konnten und nicht schon ein Jahr nach der Auslieferung mit der nächsten Version aufge­scheucht wurden.

September 1995

Holpriger Übergang auf COM - Visual Basic 4.0

Mit Version 4.0 wurde Visual Basic praktisch neu entwickelt, wenngleich dies bei oberflächlicher Betrachtung kaum sicht­bar wurde. Schon damals stand Microsoft vor der Entschei­dung, die Versionsnummerierung fortzuführen oder dem Ganzen einen neuen Namen zu geben. Der Grund dafür, dass bei Version 4.0 kaum ein Stein auf dem anderen gelassen wurde, lag in der Umstellung auf das Component Object Mode! (COM) und dem Umstand, dass Visual Basic 4.0 erstmals in einer 32-Bit-Version vorlag. Mit Visual Basic 4.0 ließen sich COM - Komponenten (ActiveX - DLLs und Ac­tiveX - Exes) programmieren, die als universelle Softwarebau­steine auch von anderen Anwendungen benutzt werden konnten. Dahinter stand die Vision einer uneingeschränkten Zusammenarbeit von Anwendungen auf einer einheitlichen Grundlage. Dieses hohe Ziel hat COM nur teilweise erfüllt, aber es konnte sich zu einer wichtigen Technologie entwi­ckeln, ohne die heutzutage kaum ein Windows-Programmie­rer auskommt. Mit .NET steht ein Nachfolger allerdings be­reits fest.

Februar 1997

Visual Basic wird erwachsen und erhält einen Compiler — Version 5.0

Das mit Abstand markanteste Merkmal der Version 5.0 war natürlich der Compiler, der in der Lage war, ein Visual - Basic ­Programm in echten Maschinencode umzuwandeln (die Exe ­Dateien früherer Versionen erhielten lediglich P-Code - ein Zwischencode, der von der Laufzeitumgebung interpretiert werden musste). Der Compiler sorgte nicht nur für schnellere Programme, sondern ermöglichte auch das Programmieren von Zusatzsteuerelementen (sie hießen inzwischen ActiveX Steuerelemente), was bis dahin nur mit C++ oder Delphi möglich war.

September 1998

Das beste Visual Basic bislang - Visual Basic 6.0

Kommt Ihnen die Zwischenüberschrift bekannt vor? Wie Version 3.0 ist auch Visual Basic 6.0 nahezu perfekt. Es bie­tet einen reichhaltigen Sprachumfang, eine solide Datenbank - Schnittstelle und viele kleine Extras. Und es ist seit 1998 und damit fast drei Jahre auf dem Markt - Zeit genug, damit sich jeder Programmierer ausgiebig an eine Version gewöhnen kann.

Wirklich spektakuläre Neuerungen wurden mit Version 6.0 nicht eingeführt, sieht man einmal von den IIS - Applikationen ab, bei denen es sich um einfache Webanwendungen auf der Basis der Active Server Pages (ASP) handelt.

Februar 2000 ­ „Visual Basic 7.0“ wird vorgestellt

Die Zukunft: Visual Basic.NET

Sie haben es sicher schon gelesen oder gehört: Der Nachfol­ger von Visual Basic 6.0 wird nicht Visual Basic 7.0. sondern Visual Basic.NET heißen. Im Februar 2000 wurde „Visual Basic 7.0“ von Microsoft-Chef Steve Balmer erstmals auf einer großen Visual- Basic- Konferenz vorgestellt, im Juni des gleichen Jahres wurde es in Visual Basic.NET umbenannt. Ein Auslieferdatum steht noch nicht fest, aber die Leistungs­merkmale der neuen Version sind in allen Details bekannt.

.NET ist das neue Fundament

Visual Basic.NET, das sich mit den anderen Microsoft-Spra­chen Visual C++ und der neuen Programmiersprache C# (C­ Sharp) eine Entwicklungsumgebung teilt, wird viele wichtige neue Sprachelemente enthalten: unter anderem Vererbung und Multithreading - zwei Merkmale, die sich Programmie­rer schon seit Jahren gewünscht haben. Dafür wird es nicht zu 100 % kompatibel mit seinen Vorgängern sein. Verant­wortlich dafür ist die Common Language Runtime, die neue Laufzeitumgebung, die alle .NET - Programmiersprachen ge­meinsam nutzen. Sie basiert nicht mehr auf COM, sondern auf .NET, der neuen Systemumgebung von Microsoft, und führt eine Reihe neuer Regeln ein. Eine davon ist, dass Ob­jekte nicht mehr sofort beendet und aus dem Arbeitsspeicher entfernt, sondern „später“ von der systemweiten Garbage Collection aufgeräumt werden.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist eine aus mehreren Tau­send Klassen bestehende Klassenbibliothek, die ebenfalls al­len .NET- Programmiersprachen gemeinsam zur Verfügung steht und die alle Visual - Basic - Funktionen bereitstellt sowie einen Teil der Win32-API ersetzt. Wird ein Visual-Basic-6.0-Projekt unter Visual Basic.NET geöffnet, wird es automatisch konvertiert, wobei ein Assistent die meisten Sprachkonstruk­te umsetzt — nicht unterstützt wird z.B. die Datenbindung mit DAO und RDO (wohl aber mit ADO). Über eine Kompatibi­litätsklasse werden alle vertrauten Visual – Basic - Funktionen, wie C/zr, Left oder Rnd, zur Verfügung gestellt, sodass die kommende Version bei weitem nicht so inkompatibel ist, wie es zunächst den Anschein haben mag.

Visual – Basic ­Programmierer werden zu Webprogrammierern

Ein wichtiger Schwerpunkt von .NET im Allgemeinen und Visual Basic.NET im Speziellen wird die Programmierung von Webanwendungen sein. Diese werden sich mit Visual Basic in Zukunft so einfach programmieren lassen wie bisher Windows-Anwendungen. Vor allem spielt Visual Basic keine Sonderrolle mehr, sondern ist eine gleichberechtigte Pro­grammiersprache. Bisherige ASP - Anwendungen (Active Server Pages) wurden in erster Linie mit VBScript und Visu­al InterDev erstellt (Visual interDev wird es nicht mehr ge­ben, seine Funktionalität geht in Visual Studio.NET auf).

Künftig werden die meisten ASP .NET - Anwendungen (ASP. NET ist der Nachfolger von ASP) mit Visual Basic.NET pro­grammiert werden. Insofern schließt sich der Kreis wieder. War Visual Basic 1 .0 im Jahre 1991 der Durchbruch für die damaligen Basic-Programmierer, der ihnen endlich den Eintritt in die Windows-Welt verschaffte, so ist zehn Jahre später Visual Basic.NET die Eintrittskarte in die Welt der Wehan­wendungen und Webdienste, die sich genauso problemlos umsetzen lassen werden wie damals Windows-Anwendun­gen. Damals wie heute kümmert sich Visual Basic in erster Linie um die lästigen Formalismen. Gute Programmierkennt­nisse, die Fähigkeit ein Projekt planen und zu Ende bringen zu können, Kenntnisse über den Entwurf und die Anbindung einer Datenbank sowie nicht zuletzt der Spaß am Ausprobie­ren neuer Techniken werden auch in Zukunft die wichtigste Voraussetzung sein.